Liebe(r) Schweinehundebesitzer(in),
Himmel, bin ich sauer! Oder besser: Hölle, bin ich sauer! Denn da komme ich hin, wenn ich auch nur einen Bruchteil dessen in die Tat umsetze, was mir mein innerer Schweinehund gerade an Rachefantasien durch die Neuronen jagt. Gewusst habe ich es zwar schon immer: Ich bin auch nur ein Tier. Aber gleich so ein destruktives? Wow! Wenn mir gerade gewisse Personen in die Hände kommen, garantiere ich für nichts …
Was passiert ist? Ganz einfach: Ein paar Stinktiere haben ohne Vorwarnung begonnen, mir ans Bein zu pinkeln. Und ab und zu sind auch ein paar der unangenehm „Duft“spritzer mit dabei, was stets enorme Arbeit macht – irgendwie will man den Gestank schließlich wieder wegbekommen. Und normalerweise ist mein Standpunkt ja: Stinktiere tritt man nicht. Bringt eh nix. Droht, nur erneut in Gestank auszuarten. Lieber einfach drum herum- oder weggehen. Aber: Was, wenn einem die Viecher ständig hinterherlaufen? Wenn sie einfach nicht aufhören, einem ans Bein zu pinkeln? Wenn der Gestank zum Dauerzustand wird? Sie ahnen es: Dann geht es irgendwann darum, eine Entscheidung herbeizuführen. Sie lautet: „Stinktier oder ich!“ Und das Gefühl, das diese Entscheidungsbereitschaft hervorruft, ist Wut.
„Wut?“, denken Sie womöglich empört. „Wut ist destruktiv, unfein, dumm!“ Und ja, Sie haben zum Teil Recht: Menschen, die bei jeder Kleinigkeit gleich auf 180 sind, haben kein Problem mit Stinktieren – sie sind selber welche! Andererseits aber ist es auch ein häufiger Irrtum, zu glauben, Freundlichkeit sei Unfreundlichkeit stets überlegen. Stellen Sie sich nur mal folgendes Pärchen vor: Einer kocht der/dem anderen ein leckeres Abendessen und die/der Bekochte motzt nur herum – das Essen sei zu salzig, habe zu lange gedauert, sei nicht so geworden, wie erwartet und so weiter. Was würden Sie Köchin oder Koch raten? Sich beim nächsten Mal gefälligst mehr Mühe zu geben? Wohl kaum. Denn wohin würde das vermutlich führen? Klar: Beim nächsten Mal ist das Essen dann zu fade, würde zu schnell serviert oder sei immer das gleiche … Also: Sie würden (hoffentlich) raten, die/der Bekochte möge beim nächsten Mal gefälligst ins Restaurant gehen oder sich das Essen zukünftig selbst zubereiten! Was fällt diesem Trampel eigentlich ein, so unflätig herumzumotzen? Und: Wollen wir wetten, dass sich die/der Bekochte nun beim nächsten Mal besser benimmt?
Halten wir also fest: Nicht Freundlichkeit schlägt Unfreundlichkeit. Manchmal ist es genau andersherum! Denn: Wenn wir zu freundlich und verständnisvoll sind, laufen wir unter Umständen Gefahr, den anderen sogar zu animieren, den Stinkstiefel herauszuhängen! Und insofern tun wir gut daran, negative Gefühle wie Wut, Enttäuschung, Ärger, Stress nicht einfach wegzudrücken und als unschicklich zu etikettieren, sondern sie hin und wieder als Handlungssignale zu interpretieren – vor allem wenn sie in bestimmten Situationen immer wieder vorkommen: „Irgendetwas will mir mein Gefühl mitteilen – was?“ Und dann sollten wir konsequent den nächsten Schritt gehen: den Grund für das negative Gefühl beseitigen!
Ich weiß, ich weiß: Manche überkommt nun die große Unsicherheit. „Wie bitte? Ich soll mich von meiner Wut leiten lassen? Das traue ich mich nicht! Was da alles passieren kann!“ Doch keine Sorge, wenn Sie sich für eine echte Sauwut „eigentlich“ zu schwach fühlen: Das Schöne an Wut ist ja unter anderem, dass sie einen beflügeln kann – wenn man es zulässt. Denn biologisch betrachtet, wirkt Wut so ähnlich wie Obelix’ Zaubertrank: Sie steckt voller Starkmacher wie Adrenalin oder Noradrenalin, lässt das Herz schneller schlagen, die Muskeln besser arbeiten und klärt die Gedanken im Kopf: „Auf in den Kampf!“ Immerhin sollte uns Wut früher davor bewahren, vom bösen Sägelzahntiger gefressen oder vom Bewohner der Nachbarhöhle bestohlen zu werden. Wut macht mutig, Wut macht stark, Wut macht erfolgreich. Sollen Säbelzahntiger und Höhlennachbar nur kommen!
Meine ersten bewusst positiven Erfahrungen mit dem Gefühl Wut konnte ich zum Glück bereits als Kind und Jugendlicher sammeln – und zwar bei Prügeleien! Im Ernst: Ich habe mich früher geprügelt. Nicht nur einmal. Und übrigens auch nicht „leider“. Denn: Auch damals gab es Stinktiere. Und auch damals kam hin und wieder der Punkt „Stinktier oder ich!“ Selbstverständlich schlotterten mir auch damals innerlich die Knie, wenn sich eine Auseinandersetzung nicht mehr friedlich klären ließ. Aber: Zum Glück hatte ich herausgefunden, dass man vor manchen Auseinandersetzungen besser nicht kneift, sondern sich ihnen stellt – und zwar mit einer gesunden Portion Wut im Bauch. Mit einer gewissen kalkulierten Aggressivität, die mich letztlich meist als Sieger „vom Platz“ gehen ließ. Stolz wie Bolle und gefeit vor erneuten Gestanksattacken. Denn Wut macht auch entschlossen, sich durchzusetzen – eine fast rechtschaffene Entschlossenheit, die Stinktieren in Konflikten meist fehlt. Schließlich stinken sie ständig – das entspricht ihrem Wesen. Doch dadurch kriegen sie keinen biologischen Wut-Zaubertrank ab! Sie starten sozusagen mit ihrem emotionalen Normalzustand in die Auseinandersetzung – und bleiben somit vergleichweise schwach. Traraaa: Und schon sind Sie mit Ihrer Wut im Vorteil! Sie sind gedopt und flexen das Stinktier locker weg!
Naja, nur wenn Sie sich trauen, selbstverständlich. Und damit wären wir schon beim problematischen Teil: Die meisten trauen sich nämlich gar nicht, sich zu wehren. Bevor sie das Risiko eingehen, auf die Mütze zu kriegen, ertragen sie lieber – und lernen so, dass sie sich den Launen der Stinktiere zu unterwerfen haben. Sie werden immer mutloser, schwächer, passiver. Sie werden zu Opfern. Und damit nähren sie die Stinktiere in deren irrationaler Überzeugung, tun und lassen zu können, was sie wollen. Was die Stinktiere dann natürlich auch tun. Traurig, traurig.
Aber: Nur so lange, bis die bösen Stinktiere an SIE geraten! Denn SIE spielen das Opferspiel zukünftig nicht mehr mit! Stattdessen werden Sie sich beim nächsten Mal fragen, wie Sie Ihre Wut am besten nutzen können, um zu verändern, was Ihnen stinkt! Sie werden Ihre Wut im entscheidenden Moment bewusst hochholen, Ihren ganzen Mut zusammennehmen und bereit sein, zu handeln! Sie werden signalisieren: „Hier stehe ich! Bis hierher und keinen Schritt weiter! Sonst wird es Ärger geben. Und zwar viel Ärger, Stinktier!“ Und weil sich das Stinktier nun unterlegen fühlt, wird es sich vom Acker machen – und Ihnen zukünftig nicht wieder ans Bein pinkeln wollen …
Ach ja, zurück zu „meinen“ Stinktieren: Was glauben Sie wohl, wie ich den Konflikt zu lösen gedenke? Richtig: Wenn sich die Stinktiere doch noch freiwillig verkrümeln, gehe ich wieder friedlich zur Tagesordnung über. Falls aber nicht, seien Sie sich sicher: Ich werde den Zaubertrank nicht nur trinken, sondern sogar darin BADEN! Und dann heißt es wieder „Stinktier oder ich!“ Und ich würde jedem raten, lieber auf mich zu wetten.
Wehrhafte Oktobergrüße
Ihr
Stefan Frädrich
Toller Artikel, jedoch habe ich mal eine Frage. Wie kann ich diesen Blog zu meinem RSS Reader hinzufügen? Ich finde das Icon nicht. Danke
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