Liebe Schweinehundefreunde,
im Leben bringt uns oft die Fähigkeit weiter, uns Belohnungen kurzfristig zu versagen und sie stattdessen aufzuschieben. Der amerikanische Psychologieprofessor Joachim de Posada hält diese Fähigkeit sogar für den wichtigsten Faktor für Erfolg überhaupt.
De Posada berichtet von einem Versuch der Standford University: Vierjährige Kinder bekamen die Aufgabe, 15 Minuten alleine in einem Raum zu verbringen. Vor ihnen auf dem Tisch lag ein Marshmallow – für die meisten Kinder eine Köstlichkeit. Dann wurde den Kindern erklärt: Wenn sie es schafften, den Marsmallow nicht zu essen, während sie alleine sind, bekommen sie hinterher zur Belohnung einen zweiten zusätzlich.
Was war das Ergebnis? Zwei Drittel der Kinder aßen ihren Marshmallow vorzeitig. Ein Drittel aber lenkte sich zum Teil sehr mühevoll von der Aussicht auf den zu erwartenden Genuss ab und hielt die 15 Minuten tapfer durch. Das heißt: Diese Kinder verstanden schon im Alter von vier Jahren, wie wichtig für Erfolg die Fähigkeit ist, Belohnungen zu verzögern! Sie hatten Selbstdisziplin.
14 bis 15 Jahre später fanden Verlaufsstudien statt: Was war aus den Kindern geworden, die nun mittlerweile 18 oder 19 Jahre alt waren? Die Ergebnisse waren deutlich: 100 Prozent der Kinder, die den Marsmallow nicht gegessen hatten, waren erfolgreich! Sie hatten gute Noten, waren gut drauf, hatten Lebenspläne und gute Beziehungen zu Lehrern und Mitschülern. Bei einem großen Anteil der Kinder aber, die den Marsmallow vorzeitig gegessen hatten, lief es weniger gut: Sie hatten meist schlechte Noten und die Schule längst verlassen. An die Universität oder Karriere war nicht mehr zu denken.
Unsere Schmerzvermeidungskultur
Spannend, nicht wahr? Vor allem weil das Prinzip, Belohnungen aufzuschieben, um dafür größere zu bekommen, meist unserer täglichen Lebensweise widerspricht. Ja, wir funktionieren häufig genau andersherum: Erst sollen die Belohnungen kommen, dann denken wir darüber nach, uns für sie auch anzustrengen. Sich freiwillig etwas Schönes versagen? Never!
Nein, Unangenehmem stellen wir uns erst, wenn es nicht anders geht. Und weil ohnehin fast jeder Schmerz und Anstrengung aus dem Weg geht, schaut man uns wegen unserer Leistungsverweigerung nicht einmal schräg an! Wir leben in einer allgemein anerkannten Schmerzvermeidungskultur und bestätigen uns alle gegenseitig, dass es völlig okay ist, erst dann richtig loszulegen, wenn wir es müssen: Lernen? Erst kurz vor der Prüfung! Malochen? Erst kurz vor der Insolvenz! Alles andere erscheint nicht zumutbar. Wir sind doch keine Masochisten! Und sobald der akute Schmerz, der akute Druck dann wieder vorbei ist, machen wir wieder weiter wie zuvor: Ist die Aufgabe erledigt, gehen wir augenblicklich wieder zur Zerstreuung über – konzentriert nachdenken ist zu anstrengend. Ist die Liquidität unserer Firma gesichert, tolerieren wir selbst die größten Hohlköpfe. Und erweist sich der Schatten auf der Lunge als technischer Defekt des Röntgengeräts, klickt auch schon wieder das Feuerzeug – auf diesen überstandenen Schreck brauchen wir erst mal eine Zigarette.
Wir halten es also für normal, kuschelig in Watte gepackt zu leben. Wir meinen, jede kleine Unpässlichkeit für Schmerz halten und sie vermeiden zu müssen. Und erst wenn die jeweiligen Erträglichkeitsschwellen überschritten sind, haben wir einen sozial akzeptierten Grund fürs Handeln: »Was sein muss, muss sein!« Kein Wunder also, dass wir oft erst dann funktionieren, wenn wir es müssen! Wir haben es so gelernt. Und wir erfahren es jeden Tag aufs Neue, wenn wir uns mit anderen Menschen (und Schweinehunden) umgeben.
Glück oder Kicks?
Wie Sie sehen, läuft es auf eine wichtige Unterscheidung hinaus: Wollen wir handeln (oder eben nicht handeln), um im Leben kurzfristige Kicks zu erleben oder langfristiges Glück und Zufriedenheit? Im ersten Fall streben wir nach kurzen Momenten guten Gefühls: Wenn wir das unbequeme Training versäumen, den hochkalorischen Nachtisch naschen oder uns ständig der allzu süßen Bequemlichkeit hingeben. Die Alternative erscheint uns zu unbequem und die Perspektive ist natürlich rein kurzfristig. Wir gönnen uns gewissermaßen den Marshmallow, ohne langfristig zu denken. Echtes Glück und Zufriedenheit aber entspringen der Langfristigkeit! Sie sind Resultate unserer strategisch wichtigen Entscheidungen – unabhängig von kurzfristigen Gefühlen: Training macht fit. Das Ignorieren des Nachtischs hält schlank. Und wer sich gewohnheitsmäßig anstrengt, lernt im Leben ständig dazu. Kate Moss sagte einmal: „Nichts schmeckt so gut wie sich Schlanksein anfühlt.“ Und Anthony Robbins sagt: „Disziplin wieg ein paar Gramm, Bedauern eine Tonne.“
Die Einser-Regel
Wie also drehen wir wirkungsvoll die Betrachtungsweise um? Nun, um bei typischen Schweinehundesituationen in die langfristige Perspektive zu wechseln, hilft die Einser-Regel.Fragen Sie sich ganz konkret: »Was bedeutet mein Handeln für mich in einer Minute, in einer Stunde, einem Tag, einer Woche, einem Monat, einem Jahr, einem Jahrzehnt?«
Beispiel regelmäßiges Joggen: Eine Minute nach dem Beginn des Laufens fühlen Sie sich womöglich unangenehm außer Puste, Sie müssen erst noch richtig in Schwung kommen. Nach einer Stunde stehen Sie aber vielleicht schon glücklich unter der Dusche und sind froh, dass Sie sich bewegt haben. Nach einem Tag wissen Sie, dass Sie gestern joggen waren und es heute nicht müssen. In einer Woche können Sie so locker drei bis vier Laufrunden in Ihrem Alltag unterbringen, ohne dass es zur täglichen Pflicht wird, zu der Sie sich quälen müssen. Nach einem Monat ist Ihre Kondition schon ein wenig besser geworden und vielleicht haben Sie ein halbes Kilo Gewicht verloren. Nach einem Jahr fühlen Sie sich deutlich fitter als im Vorjahr und die Waage zeigt ein klares Minus. Und nach einem Jahrzehnt sind Sie im Vergleich zu den regelmäßigen Nichtsportlern in Ihrer Umgebung kaum gealtert und fühlen sich nach wie vor jung und frisch. Na? Hat Günter jetzt immer noch so viel Respekt vor der kleinen Anfangshürde?
Sie sehen: Mit der Einser-Regel lassen sich etliche Sorgen, Mühen und Anstrengungen relativieren. Denn: Die meisten schlechten Gefühle sind langfristig betrachtet unwichtig – sie gehen vorbei. Es sei denn, wir erkennen sie nicht als einen Wink mit dem Zaunpfahl und verändern gar nichts. Zum Beispiel wird chronische Unzufriedenheit mit der eigenen Jobsituation (tut nicht gut) mit der Zeit meist immer frustrierender, wenn man nichts gegen sie unternimmt (tut noch weniger gut). Auch so mancher kurzfristige Kick wird aus der langfristigen Perspektive als schädlich entlarvt: Jeden Abend die Füße hochlegen und Chips essen (tut gut) führt eben langfristig zu Trägheit und Schwäche (tut nicht gut).
Also: Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit und schreiben Sie mal Ihre aktuellen „typischen Schweinehundesituatioen“ auf. Wo macht Ihnen regelmäßig Günter einen Strich durch die Rechnung?
Und dann gehen Sie jede dieser Situationen einzeln durch und fragen sich: Was bedeutet diese Situation für mich nach der Einer-Regel?
Na, ist es immer noch so schlimm, den Marshmallow stehen zu lassen?
Ich wünsche Ihnen einen fantastischen Frühsommerstart!
Herzliche Schweinehundegrüße
Ihr
Stefan Frädrich
Mahlzeit! Ich vermisse den Gefaellt mir Button? 🙂
Ja… stimmt… leider.
Wirklich ein toller Artikel! Ein toller Ansatz fuer das taegliche Leben. Vielen Dank!
Dieser Artikel gibt einem den richtigen Antrieb ;-)! Danke!