Liebe Schweinehundefreunde,
machen wir eine kleine Zeitreise:
Es ist 1989, Sie arbeiten in einer kleinen Firma. Ein Kollege ist zwei Jahre zuvor aus der DDR geflohen, die es damals noch gab. Seine Frau und sein kleines Kind hatte er zurücklassen müssen. Der Plan dahinter: Seine Familie stellt einen Ausreiseantrag und darf ihm irgendwann in den Westen folgen. Das Problem jedoch: die Schikanen, die nun beginnen. Seine Frau wird gemobbt, verliert ihren Job. Das Kind wird gehänselt …
Eines Tages kommt Ihr Kollege völlig aufgelöst in die Arbeit und kündigt, weil er sofort in die DDR zurück müsse. Er hatte einen Anruf bekommen: Seine Frau sei bei einem Unfall gestorben, sein kleiner Sohn liege in der Intensivstation. Nun warte zwar „zuhause“ das Gefängnis, aber er könne zuvor noch einmal zu seinem Sohn.
Mit Mühe halten Sie Ihren Kollegen davon ab, überstürzt zu handeln. Und tatsächlich stellt sich bald heraus: Die Familie hatte keinen Unfall, beide sind wohlauf. Beinahe wäre Ihr Kollege in eine perfide Falle getreten.
Nun reift ein Entschluss heran: Auch die Familie Ihres Kollegen muss aus der DDR fliehen. Und es entsteht ein Plan, bei dem Sie eine entscheidende Rolle spielen – wenn Sie mitmachen …
Na, ganz ehrlich: Wären Sie so mutig gewesen, hinter den „eisernen Vorhang“ zu reisen und mit einem komplexen Täuschungsmanöver aktiv bei der Republikflucht zu helfen? Ja, dabei sogar Ihre drei Kinder mitzunehmen, im Alter von fünf und drei Jahren sowie vier Monaten?
Gaby S. Graupner, heute Präsidentin der German Speakers Association, hat genau das getan – und die Geschichte erzählt: bei der 1. Münchener Rednernacht. Ihr Vortrag „Jetzt bist du dran! Dilemma Zivilcourage“ hat mich (uns alle, die dabei waren) tief beeindruckt.
Denn wo genau verläuft die Grenze zwischen
- Verantwortung und Selbstaufgabe,
- Mut und Angst,
- Heldentum und Leichtsinn?
Genau lässt sich das wohl nie wirklich sagen. Und es ist nicht leicht, sich zu entscheiden. Aber wir müssen es mitunter dennoch tun – und können zum Zünglein an der Waage werden …
Nun können auch Sie sich Gaby Graupners Vortrag ansehen und -hören: Wir haben ihn auf www.GEDANKENtanken.com online gestellt. Und wir hoffen, dass er viele Menschen inspiriert, sich (trotz aller ganz normaler Angst) die entscheidenden (wenngleich unbequemen) Fragen zu stellen:
- „Was ist jetzt wirklich zu tun?“
- Und: „Wer soll Verantwortung übernehmen, wenn nicht ich selbst?“
Gaby Graupner sagt: „Zivilcourage macht uns stolz. Zivilcourage macht uns größer. Zivilcourage zeigt uns: Wir haben die Möglichkeit, in dieser Welt etwas zu verändern.“
Dabei bedeutet Zivilcourage nicht immer große Heldentaten. Oft sind es kleinere Dinge, die wir tun können:
- Hinschauen.
- Aufstehen.
- Laut „Stopp!“ sagen, wenn wir Ungerechtigkeiten sehen.
- Unseren Mund aufmachen.
Und das können wir alle. Auch Sie.
Danke, Gaby.
Haben Sie einen schönen Sommer!
Ihr
Dr. Stefan Frädrich