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Es lebe das Scheitern! 

 Januar 15, 2013

Von  Dr. Stefan Fraedrich

Vor einigen Tagen habe ich bei Facebook einen meiner Lieblingssprüche gepostet:

„Wenn du genug davon hast, neu anzufangen, hör damit auf, aufzugeben.“

Na, ist der gut? Und erleben wir nicht alle ständig das Gegenteil: Dass Menschen wegen eigentlich überwindbarer Hürden Projekte aufgeben, die sie mit mehr Fokus, Bestimmtheit und Ausdauer erfolgreich hätten beenden können? Stattdessen hangeln sie sich von einem Scheitern zum nächsten – und von Neuanfang zu Neuanfang. Schade.

Durchhalten um jeden Preis?

Dabei kann der Sinn des Scheiterns auch ein ganz anderer sein: Zu scheitern ist oft ein Feedback, dass wir etwas Falsches tun – und umdenken sollten. Hätte ich zum Beispiel in jüngeren Jahren den Traum verfolgt, Profi-Fußballer zu werden, hätte sich recht schnell gezeigt, dass ich meine Fähigkeiten falsch einschätze: Ich liebe Fußballspielen zwar, kann es aber nicht gut. Nach der Logik vieler Motivationssprüche hätte ich also trainieren, trainieren und trainieren müssen, wäre an meinen Hürden gewachsen – und wäre am Ende (Sorry, Stefan, sei ehrlich!) trotzdem gescheitert. Vielleicht hätte ich mich von Kreisliga B in Liga A verbessert. Aber Profi werden? Lächerlich.

Die Sache ist also komplexer als es das allgemein akzeptierte Mantra vom ewigen Durchhalten nahelegt: Irgendwo MUSS eine Grenze verlaufen, ab der Scheitern nicht als Ansporn verstanden werden sollte, weiterzumachen. Stattdessen muss irgendwann das Gegenteil gelten: „Hör damit auf, gegen eine Wand anzurennen – such lieber nach der Türe!“ Nur wo ist diese Grenze? Und wie findet man die Türe?

Was ist richtig? Was ist falsch?

Ich glaube, es geht im Kern um unser Verständnis von richtig und falsch. Wir setzen uns etwas in den Kopf, also muss es richtig sein – eine Idee, ein Glaube, eine Gewohnheit, ein Ziel und Plan. Nun wollen wir mit dem Kopf durch die Wand. Etwas anderes wäre falsch.

Das Problem bei dieser Denke ist, dass so unsere Leidensfähigkeit bestimmt, was wir erreichen: Sind wir tapfer, halten wir durch – und erreichen manchmal auch unser Ziel. Sind wir weniger tapfer, brechen wir ab – und suchen uns neue Ziele, die mitunter attraktiver sind als unsere vorigen.

Hoppla! Haben Sie es bemerkt? Ja, das habe ich tatsächlich geschrieben: Manchmal sind sich aus dem Scheitern ergebende Ziele attraktiver als die Ziele vor dem Scheitern!Insofern kann zugelassenes Scheitern erfolgreich machen!

Noch zu abstrakt? Okay, konkret: Weil ich nicht gut Fußball spielen konnte, bin ich als Junge bald aus dem Verein ausgetreten und habe stattdessen begonnen, Basketball zu spielen. Und weil ich damals recht früh in der Pubertät und insofern größer war als viele andere, hatte ich eine Weile einen echten Vorteil. Plötzlich gehörte ich zu den guten Spielern, was Spaß machte und Erfolge brachte. Klar jetzt?

Eine Frage der Opportunitätskosten

Zurück zu unserer Richtig-oder-falsch-Denke: Der im letzten Jahr leider verstorbeneManagement-Vordenker Stephen R. Covey sagte, es ginge in unserem heutigen erwachsenen Leben gar nicht um richtig oder falsch, gut oder schlecht. Stattdessen müssen wir jeden Tag wählen zwischen den Alternativen „gut“ und „besser“! Oder anders ausgedrückt: Wir können heute jeden Tag und jeden Moment unendlich viele Dinge tun – und vor uns selbst als „richtig“ klassifizieren. Dennoch werden manche davon bessere Ergebnisse bewirken als andere. Und es gibt Dinge, die wir bleiben lassen sollten, obwohl sie „beinahe richtig“ sind.

Die Ökonomen sprechen hier von „Opportunitätskosten“: Was kostet etwas im Verhältnis zu den Möglichkeiten, die etwas anderes böte? Also welche Gewinne entgehen uns, weil wir andere vorhandene Möglichkeiten (Opportunitäten) und Ressourcen nicht nutzen?

Nehmen wir zum Beispiel Fußballnationalspieler Bastian Schweinsteiger und stellen uns vor, man habe ihm in Kindheit und Jugend eingeimpft, er solle Steuerberater werden, während Fußball höchstens ein Hobby sei. Wer weiß? Vielleicht wäre er heute ein guter Steuerberater, der sich diszipliniert durch seine Ausbildung gebissen und ein gutes Einkommen hätte. Seine Fußballer-Millionen hätte er so jedoch nicht verdient. Die Opportunitätskosten würden klar sagen: Es ist falsch, Steuerberater zu werden, wenn du Fußballprofi werden kannst! Ich würde Basti Schweinsteiger also ein möglichst frühes und heftiges Scheitern als Steuerberater wünschen – mit viel Schmerzen, Schadenfreude, Depressionen …

Nun lassen Sie uns den Spieß umdrehen: Stellen wir uns einen guten aber keinen sehr guten Fußballer vor. Einen, der es vielleicht zum Profi bringen kann, wenn er sich sehr anstrengt, diszipliniert lebt und viel Glück hat. Dauerhaft für die erste Bundesliga würde es wohl nicht reichen, aber vielleicht schafft er es mal in die zweite oder dritte. Die Regionalliga wäre auf Dauer realistisch, die Oberliga sogar sicher. Ein wenig Kohle machen könnte unser Fußballspieler schon, vielleicht auch einige Jahre ganz gut vom Kicken leben. Aber danach? Was würden wir ihm raten und wünschen, wenn wir wüssten, dass er ein prima Händchen für Zahlen und Regeln hätte – und seine Familie vielleicht eine gut laufende Steuerberater-Kanzlei? Die Opportunitätskosten der Fußballer-„Karriere“ erschienen nun vergleichsweise hoch. Wir würden hoffen, dass unser Fußballer nicht allzu lang e in seinem Traum hängen bliebe …

Scheitern ist Teil der Lösung

In beiden Fällen ist Scheitern also kein Problem, sondern Feedback und somit Teil der Lösung: „Lass das hier sein, tu etwas anderes!“ Und wenn wir wie hirnamputierte Zombies stur auf Kurs bleiben, obwohl uns das Leben Fehlermeldungen sendet, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir leiden – und trotzdem nichts erreichen.

Weitere Beispiele gefällig?

Kennen Sie Beziehungen, die nicht funktionieren, weil die Partner offensichtlich nicht zueinander passen? Jeder sieht es – bis auf die Betroffenen selbst. Die kämpfen, beißen, reißen sich zusammen, leiden, hassen sich zeitweise, rennen zum Therapeuten, hoffen und bangen – um eines Tages im rosigen Ideal des Beziehungshimmels anzukommen, wo endlich alles schön ist. Schwachsinn! Jeder wohlmeinende Außenstehende wünscht ihnen, sie mögen endlich erkennen, dass sie nicht zusammenpassen. Denn erst dann können sie sich trennen, neu sortieren – und den richtigen Partner suchen und finden. Also: Nicht durchzuhalten bringt sie weiter, sondern zu scheitern.

Oder chronische Unzufriedenheit am Arbeitsplatz. Ein schönes Leben nur im Urlaub, am Wochenende und zwischen 17 und 9 Uhr morgens. Im Job jedoch wird stumpf gelitten, sich energielos durch den grauen Tag geschleppt. Es sind ja nur noch 9 Wochen bis zum nächsten Urlaub. Und noch 14 Jahre bis zur Rente. Da muss man halt durch … Schwachsinn! Hier muss man durch etwas ganz anderes durch: nämlich durch die Erkenntnis, in einer Sackgasse gelandet zu sein! Also: Was sollte man stattdessen tun? Welche Alternativen gibt es? Was wäre der nächste Schritt? Zu scheitern ist ein Anfang.

Sie merken, wir können die Beispiele beliebig weiterführen:

  • Produziert unsere Firma noch, was sich die Kunden wünschen – wo diese doch zur Konkurrenz abwandern?
  • Warum sprechen meine Kinder so wenig mit mir?
  • Was sagt es aus, wenn ein intelligenter Student viele Semester überzieht?
  • Warum sind andere ständig auf dem neuesten Stand (Facebook!), während an mir alles vorbeirauscht?

Und so weiter.

Ich bin mir sicher: In wirklich jedem dauerhaften Scheitern steckt ein Hinweis, was wir besser, oder eben was wir nicht mehr machen sollten. Wir sollten diesen Hinweisen nachgehen, statt sie zu ignorieren – und schließlich genau das durchhalten, was sich durchzuhalten lohnt.

Also: Wobei sollten Sie sich ein Scheitern eingestehen? Vielleicht sogar noch heute?

Ihnen und Ihren Lieben ein frohes neues Jahr!

Ihr

Stefan Frädrich

P.S. Hier übrigens auch ein kleines Video zum Thema.

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  • Hallo Herr Frädrich,
    ich finde diesen Artikel ziemlich gut. Doch denke ich,dass es nach jedem Scheitern unterschiedliche Türen/Möglichkeiten frei werden (in verschiedenen Richtungen). Nur weil man aber einmal gescheitert ist, heißt es nicht unbedingt dass man in diesem Bereich aufzuhören, sondern vielleicht eher, die Weise, wie man an die Sache rangeht ändern,so scheitert man doch auch oft, wenn man sich auch nur ein bisschen unsicher ist. Es ist denke ich wichtig in den Bereich zu gehen, in dem man am meisten begeistert ist. Wenn jedoch die Begeisterung abnimmt, nimmt wahrscheinlich auch die Leistung etwas ab. Doch aus irgendeinem Grund hat man ja einmal in diesem Bereich angefangen, oft geht dieser Grund aber verloren. Man muss ja nicht gleich ganz aufhören, wenn man in was gescheitert ist, sondern dort auch einen Neuanfang beginnen, aber mit etwas mehr Abstand.

    Auf jeden Fall vielen dank, hat mir ein anderen Blickwinkel auf das Scheitern gegeben 🙂

    ps: Ihre Videos finde ich auch echt Spitze

  • So scheitert Petrus immer wieder. Er begegnet uns als der, der Jesus nachfolgen möchte bis in den Tod, dies aber doch nicht kann. Er begegnet uns als der, der sich Jesus zum Vorbild nimmt und werden möchte wie er, dem dies aber nicht gelingt. Er begegnet uns als der, der bereit ist, alles für Jesus zu tun, was in seiner Macht steht, dabei aber übersieht, dass der Allmächtige etwas ganz anderes geplant hat. In alledem kann ich das Tun und Denken des Petrus gut nachvollziehen. Er handelt nur in bester Absicht. Wie kann man es ihm verübeln, dass er sich Jesus zum Vorbild nimmt, ihm nachfolgen und alles für ihn tun möchte? Wollen wir das nicht zuweilen auch? Ist das nicht christlich? Aber genau wie Petrus müssen wir dann erkennen, dass wir daran scheitern. Das macht ihn uns so nahe, so menschlich, so gut zu verstehen.

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