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Was defekte Aufzüge über uns verraten können 

 September 9, 2009

Von  Dr. Stefan Fraedrich

 

Liebe(r) Schweinehundebesitzer(in),

da muss ich mal eben vom Büro (Erdgeschoß) in die Wohnung hoch (vierter Stock, Altbau, hohe Geschosse). Kein Problem: einfach schnell den Aufzug nehmen! Doch ach, das dumme Ding rührt sich nicht. Auch die Anzeigentafel ist aus. Keine Meldung, kein Geräusch, rein gar nix.

Mein erster Gedanke: „Das ist aber doof!“

Mein zweiter: „Hoffentlich reparieren die das bald!“

Mein dritter: „Egal, nimmst du eben die Treppe!“

Und dann kommt mir Gedanke Nummer vier: „Ob das überhaupt schon jemand bemerkt und der Aufzugfirma gemeldet hat?“

Da fällt mir auf, dass ich in Gedanken das Bemerken und Melden direkt miteinander verbinde. Denn klar: Wer ein Problem bemerkt, sollte darauf reagieren und es bestenfalls gleich lösen. Oder zumindest seine Lösung einleiten – in diesem Fall es also melden. Doch: Was, wenn ich der erste bin, der es bemerkt? Dann sollte ICH es SELBST melden! Und: Falls ich nicht der erste bin, darf ich nicht davon ausgehen, dass es mein(e) Vorgänger gemeldet haben – schließlich könnten sie davon ausgegangen sein, dass sich schon irgendwer darum gekümmert hat oder noch darum kümmern wird. Wenn aber alle so denken, ist es bald Abend – und der Aufzug steht immer noch! Und das ist dann wiederum dumm für mich, wenn ich einen funktionierenden Aufzug will.

Okay, mir wird klar: Hier ist Eigeninitiative gefragt! Und ich beginne, am Aufzug nach einer Servicenummer zu suchen. Nach kurzer Zeit werde ich fündig, zücke mein Handy und rufe die Aufzugfirma an. Das Resultat: Ich bin tatsächlich der erste, der sich meldet! Sie schicken jemanden vorbei, der sich der Sache annimmt. Prima: der Anruf hat sich gelohnt.

Eine Dreiviertel Stunde später sitze ich wieder im Büro. Durchs Fenster sehe ich, wie eine Nachbarin das Haus betritt. Und als ich ein paar Minuten später wieder kurz nach oben in die Wohnung muss, bin ich erstaunt: Die Nachbarin steht brav vor dem Aufzug und wartet noch immer. Dass der Aufzug ganz offensichtlich nicht funktioniert, hat sie bislang nicht bemerkt. Ich mache sie also nett darauf aufmerksam.

Ihre erste Reaktion: „Das ist aber doof!“

Ihre zweite: „Hoffentlich reparieren die das bald!“

Ihre dritte: „Naja, dann nehmen wir eben die Treppe!“

Aufmunternd zwinkert sie mir zu und macht sich dann an den Aufstieg. Ich laufe mit, warte aber eigentlich noch auf Reaktion Nummer vier: Wann wird sie sich fragen, ob der Service schon gerufen wurde? Ich warte vergeblich.

Im zweiten Stock kann ich es mir nicht mehr verkneifen: Ich erwähne beiläufig, die Dame am Telefon habe mir baldige Reparatur versprochen. Nun fällt der Groschen, und meine Nachbarin schaut mich ehrlich erstaunt an: „SIE haben den Aufzugsservice angerufen?“ In ihrem Ton schwingt Bewunderung mit, als hätte ich eine wahrhaft heroische Tat vollbracht – und mir beginnt zu dämmern, dass ihr Gedanke Nummer vier wohl den ganzen Nachmittag nicht gekommen wäre. Au weia …

Dabei: Eigentlich hat sich meine Nachbarin ganz normal verhalten. Gerade wenn mehrere Personen ein offensichtliches Problem bemerken, ist es sehr „menschlich“, davon auszugehen, irgendein anderer werde sich schon darum kümmern – und selbst passiv zu bleiben. Die Psychologiebücher sind voll von unglaublichen Geschichten über dieses Phänomen: Wie etwa ganze Heerscharen von Passanten einen Schwerverletzten umringen und keiner auf die Idee kommt, mal den Notruf zu wählen. Oder wie jemand in aller Öffentlichkeit Opfer eines Gewaltverbrechens wird, und niemand ruft die Polizei an. Hinterher sind immer alle bestürzt, „wie so etwas passieren konnte.“ Doch klar: Es kann immer nur deswegen passieren, weil keiner Gedanke Nummer vier denkt. Weil jeder davon ausgeht, „irgendwer“ werde sich schon kümmern oder gekümmert haben. Und so bleiben eben nicht nur Unwichtige Kleinigkeiten liegen, sondern auch mal wichtige Anfragen von Kunden oder sogar Tote in Krankenhaus-Notaufnahmen, wie zuletzt in den USA passiert. (Besonders schaurig: Das Reinigungspersonal der Klinik hat um den am Boden liegenden Verstorbenen herumgewischt, ohne dass jemand Alarm schlug! Warum auch? Schließlich befand man sich mitten in einer Klinik. Überall lief genügend „qualifiziertes“ Personal herum …)

Dabei: Eigentlich ist Gedanken Nummer vier ganz einfach und auf vielerlei Situationen übertragbar. Er lautet: „Was kann ICH SELBST dazu beitragen, dass das Problem behoben wird?“ Wenn Sie wollen, kann der Gedanke noch aufgemotzt werden mit netten Wörtchen wie „jetzt“, „auf der Stelle“, „ohne mich auf andere zu verlassen“ oder „ohne erst mal um Erlaubnis zu fragen“.

Doch Vorsicht, Gedanke Nummer vier hat es in sich! Denn er verlangt uns eine Weltsicht ab, die davon ausgeht, dass wir auf unsere Umwelt Einfluss nehmen können. Dass wir etwas bewirken können. Dass wir dafür nur selbst etwas tun müssen – anstatt passiv abzuwarten und uns dann mit irgendeinem Ergebnis zufrieden zu geben. Kurz: Dass wir selbstbestimmt leben und eigeninitiativ! Genau hier aber wird es anspruchsvoll: Denn eine solche Haltung verlangt von uns auch die Bereitschaft, mitzudenken, kritisch zu hinterfragen und hin und wieder mal Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen, die der brave Lemming nicht zu befürchten hat: wie etwa die Suche nach Servicenummern, lästige Kundengespräche oder mutige Ersthelferauftritte.

Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Sind Menschen erst mal in Schwung gekommen, dann machen plötzlich alle mit. Denn Menschen sind in der Regel gerne bereit, aktiv zu helfen – man muss sie nur manchmal dazu anstupsen. Auch dazu gibt es etliche Storys in den Psychologiebüchern: Wer am Unfallort eine konkrete Aufgabe zugeteilt bekommt, die dem Verletzten hilft, zögert keine Sekunde. Deshalb sind in solchen Situationen klare Ansagen von Nöten: „Rufen SIE bitte den Notruf an!“, „Stellen SIE bitte ein Warndreieck auf!“, „Holen SIE bitte Ihren Verbandskasten aus dem Wagen!“ Es scheint so, als wolle zwar jeder, sei aber unsicher, was zu tun ist und verlasse sich somit lieber auf die anonyme Masse: „Irgendwer wird es schon richten!“

Und somit sind SIE schon wieder in der Pflicht. Denn: Warum unnütz Zeit verlieren? Warum sollten Sie es nicht selbst sein, der alles richtet (oder zumindest damit anfängt)? Also wieder zur Frage Nummer vier: Fragen Sie sich stets, was SIE SELBST dazu beitragen können, ein gerade aktuelles Problem zu beheben! Und zwar gleich, sofort, jetzt, im Moment. Ohne, dass Sie sich auf andere verlassen oder erst mal irgendwen um Erlaubnis fragen müssten. Schließlich wollen auch Sie im Restaurant nicht von vier Kellnern ignoriert werden, von denen jeder denkt, der andere bediene Sie bereits. Oder auch Sie wollen in der Technik-Hotline verbindlich und individuell beraten werden, ohne von Hinz zu Kunz verbunden zu werden, weil sich jeder darauf verlässt, der andere mache das schon. Und auch Sie wollen einfach nur auf den Aufzugknopf drücken, und dann soll Sie das Ding gefälligst nach oben bringen. Sie haben schließlich Besseres zu tun, als darauf zu warten, dass irgendjemand Ihre Probleme löst.

Also: Bringen Sie „Günter“ drei wichtige Sätze bei! Sie lauten: „Wer, wenn nicht du?“, „Wann, wenn nicht jetzt?“ und „Wo, wenn nicht hier?“ Und dann tun Sie, was getan werden muss.


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  • Dann werde ich den Vorschlag gleich mal aufnehmen und ein Problem melden, das mir auf dieser Seite aufgefallen ist 😉

    Wo finde ich den RSS-Feed? Entweder es gibt ihn nicht oder er ist zu gut versteckt.
    Ich würde mich gerne über Günter auf dem Laufenden halten.
    Ich habe bis jetzt nur den für die Kommentare gefunden.

    Ansonsten finde ich die Seite und den Blog sehr schön.

    mit freundlichen Grüßen Hendrik

  • Lieber Hendrik,

    danke für den Hinweis! Der Feed ist im grauen Textfeld unterhalb des Blogeintrags versteckt. Ist allerdings nur dann sichtbar, wenn der komplette Eintrag angezeigt wird – deine Suche ist also nachvollziehbar. Sorry …

    Stefan 😉

  • Das ist aber nur der Feed für neue Kommentare und nicht fr neue Artikel. Oder bin ich blind? 😉

  • Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Ich werde das mal unseren Weddesigner fragen. Möglicherweise hast du eine fette Schwäche dieser HP herausgefunden – DANKE !!! 🙂

  • Hallo Stefan,

    sehr toll geschrieben, proaktiv ist besser – denke ich auch – aber kostet einfach Zeit und man wägt besser ab wo man seine Zeit investiert, ganz sicher im direkten Umfeld, seh ich wie Sie.

  • Hallo! Danke für diesen Blog!!

    Hab ich gleich am nächsten Tag umgesetzt. In der Schultoilette war ein pissoir verstopft (schon seit 5 Tagen). Daraufhin habe ich eine philippinische putzfrau darauf aufmerksam gemacht.
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